Wann ist ein Geschäftsführer Arbeitnehmer?
„Wann ist ein Mann ein Mann?“ lautete die eindringliche Frage von Herbert Grönemeyer. „Wann ist ein Geschäftsführer ein Geschäftsführer?“ könnte man in Anlehnung an Grönemeyer fragen, wenn man sich das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17.06.2020 – 7 AZR 398/18 – zu Gemüte führt. Oder anders gefragt: wann ist ein Geschäftsführer Dienstnehmer und wann ist er Arbeitnehmer? Das BAG befasst sich in seinem Urteil mit der jahrzehntealten Frage, ob der Geschäftsführer einer GmbH als freier Dienstnehmer einzustufen ist, auf den die arbeitsrechtlichen Schutzgesetze keine Anwendung finden oder ob er auch Arbeitnehmer sein kann. In letzterem Fall kann er sich nach einer Kündigung auf das Kündigungsschutzgesetz sowie auf die sonstigen Arbeitnehmerschutzgesetze berufen. In seinem Urteil vom 17.06.2020 gibt das Bundesarbeitsgericht hierzu wichtige Fingerzeige, die sich GmbH-Geschäftsführer in einer Exit-Situation zunutze machen können.
Geschäftsführer einer GmbH sind nach deutschem Rechtsverständnis grundsätzlich keine Arbeitnehmer. Seit jeher geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass Geschäftsführer einer GmbH „im Lager des Arbeitgebers“ stehen und deshalb nicht selbst Arbeitnehmer sein können. Diese Differenzierung kennt man in ausländischen Rechtsordnungen nicht und findet auch bei den deutschen Rechtsanwendern wenig Beachtung. So werden Geschäftsführerverträge nicht selten als Arbeitsverhältnis bezeichnet oder es finden sich in Geschäftsführerverträgen Klauseln, die nur für ein Arbeitsverhältnis passen. Die Trennschärfe zwischen Dienstvertrag und Arbeitsvertrag lässt in der Praxis also häufig zu wünschen übrig, obwohl mit der Weichenstellung für ein Dienst- oder aber ein Arbeitsverhältnis erhebliche Konsequenzen verbunden sind.
Geschäftsführern ist der Weg zum Arbeitsgericht versperrt (§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG), sie können das Kündigungsschutzgesetz nicht für sich in Anspruch nehmen (§ 14 KSchG), das Bundesurlaubsgesetz gilt für Geschäftsführer ebenso wenig wie das Teilzeit- und Befristungsgesetz oder das Sozialgesetzbuch, das bei einer Behinderung Arbeitnehmern Sonderkündigungsschutz gewährt (§ 168 SGB IX). Kommt es zur Kündigung, so hat der Geschäftsführer eine signifikant bessere Ausgangsposition, wenn er sich auf ein Arbeitsverhältnis als Grundlage seiner Organstellung berufen kann.
Die Antwort gibt § 611a BGB. In dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber zusammengefasst, was ein Arbeitsverhältnis ausmacht.
(1) Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.
3. Kann ein Geschäftsführer überhaupt Arbeitnehmer sein?
Die Zivilgerichte gehen davon aus, dass Geschäftsführer Arbeitgeberfunktion haben, also im Lager des Arbeitsgebers stehen und deshalb grundsätzlich nicht Arbeitnehmer sein können. Demgegenüber vertritt das Bundesarbeitsgericht die Auffassung, dass bei Geschäftsführern „in extremen Ausnahmefällen“ auch ein Arbeitsverhältnis Grundlage der Organstellung sein kann. Zwingend sei es aber nicht, dass die der Bestellung zum Geschäftsführer zugrundeliegende vertragliche Abrede ein Dienstvertrag ist. Die Bestellung zum Geschäftsführer könne auch auf einem Arbeitsvertrag beruhen, allerdings nur bei hoher Intensität der Eingliederung und Weisungsunterworfenheit. Geschäftsführer konnten nach dieser Rechtsprechung bisher zwar theoretisch Arbeitnehmer sein, praktisch haben die Gerichte aber letztlich nie ein Arbeitsverhältnis angenommen.
4. Das Bundesarbeitsgericht öffnet Geschäftsführern die Tür zum Arbeitsverhältnis
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17.06.2020 stellt einen Wendepunkt dar. In der Entscheidung ging es um einen schriftlichen „Geschäftsführervertrag“, den es dieses Mal nicht als Dienstvertrag, sondern als Arbeitsvertrag einstufte. Bemerkenswert sind die inhaltlichen Regelungspunkte, die das Vertragsverhältnis nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zum Arbeitsvertrag machen:
a) Zurverfügungstellung der vollen Arbeitskraft
Wie in fast jedem Geschäftsführervertrag fand sich auch in dem der Klägerin die Klausel, dass sie ihre volle Arbeitskraft sowie ihr ganzes Wissen und Können in den Dienst der Gesellschaft zu stellen hat und sie außerdem in der Bestimmung ihrer Arbeitszeit frei ist, jedoch jederzeit, sobald es das Wohl der Gesellschaft erfordert, zu ihrer Verfügung zu stehen und ihre Interessen wahrzunehmen hat. In dieser Standardklausel für Geschäftsführerverträge erkennt das Bundesarbeitsgericht den Grund dafür, dass die Geschäftsführerin nicht im Wesentlichen frei ihre Tätigkeit gestalten und ihre Arbeitszeit bestimmen kann. Ihr grundsätzliches vertragliches Recht, ihre Arbeitszeit frei zu bestimmen, werde durch das „jedoch“ eingeschränkt, dass sie der Gesellschaft jederzeit, wenn es ihr Wohl erfordere, zu ihrer Verfügung zu stehen habe.
b) Behandlung hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht wie Arbeitnehmer
Ein weiteres Indiz für die Arbeitnehmerstellung der Geschäftsführerin sieht das Bundesarbeitsgericht in dem vertraglichen Hinweis, die Geschäftsführerin sei kranken-, pflege-, renten- und arbeitslosenversicherungspflichtig und alle damit verbundenen notwendigen Handlungen erfolgten „wie für jeden anderen Arbeitnehmer der Gesellschaft.“ Das BAG schließt also vom sozialversicherungsrechtlichen Status auf die Arbeitnehmereigenschaft.
c) Bezeichnung der Geschäftsführerin als Arbeitnehmerin
Den Rückschluss von der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung auf die Arbeitnehmerstellung zieht das Bundesarbeitsgericht aber wohl deshalb, weil die Geschäftsführerin hinsichtlich der Sozialversicherung „wie jeder andere Arbeitnehmer“ behandelt werden sollte. Nicht die Sozialversicherungspflicht als solche wird als maßgeblich angesehen, sondern dass die Geschäftsführerin insoweit den anderen Arbeitnehmern gleichgestellt werden soll. Eine Mitarbeiterin wie andere Arbeitnehmer zu behandeln bedeutet nach Lesart des Bundesarbeitsgerichts also, dass diese Mitarbeiterin auch rechtlich als Arbeitnehmerin zu betrachten ist.
d) Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses
Die interessanteste Botschaft des Urteils des BAG vom 17.06.2020 dürfte zugleich die für Geschäftsführer nützlichste sein: Die dargestellten Grundsätze zur Abgrenzung eines freien Dienstverhältnisses von einem Arbeitsverhältnis gelten nur, wenn die Parteien ihr Rechtsverhältnis nicht als Arbeitsverhältnis bezeichnet haben, sondern als Dienstverhältnis oder freies Mitarbeiterverhältnis. Haben die Parteien dagegen ein Arbeitsverhältnis vereinbart, so ist es auch als solches einzuordnen. Für die Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses lässt es das Bundesarbeitsgericht genügen, dass der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers als Arbeitsverhältnis bezeichnet wird. Im konkreten Fall sah es die Bezeichnung als Arbeitsverhältnis schon darin, dass es im Geschäftsführervertrag hieß:
Leitende Angestellte seien aber regelmäßig Arbeitnehmer und keine freien Dienstnehmer. Die Verwendung des Begriffs „leitende Angestellte“ im Geschäftsführervertrag macht den Geschäftsführer somit zum Arbeitnehmer.
Merke:
1) GmbH-Geschäftsführer sind im Regelfall freie Dienstnehmer und genießen nicht den Schutz arbeitsrechtlicher Gesetze.
2) Von dieser Regel gibt es Ausnahmen. Eine Ausnahme liegt vor, wenn die Gesellschaft mit dem Geschäftsführer ein Arbeitsverhältnis vereinbart. Hierfür reicht es aus, wenn der Geschäftsführer im Anstellungsvertrag als „leitender Angestellter“ bezeichnet wird.
3) Für ein Arbeitsverhältnis des Geschäftsführers spricht es schon, wenn er zwar in der Bestimmung seiner Arbeitszeit frei ist, der Gesellschaft jedoch jederzeit zur Verfügung zu stehen hat, wenn es ihr Wohl erfordert.